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‘Matthias Berg, das ist doch der Rotschopf ohne Arme, der Contergan-Behinderte.’ ‘Der so viele Medallien in der Leichtatlethik und beim Skifahren hat?’ ‘Ja, und der dabei von früher Kindheit an Preise für sein Hornspiel bekommt.’ ‘Ach ja, aber dass auch noch ein richtiger Jurist ist und es bis zum stellvertretenden Landrat geschafft hat, Respekt!’ ‘Aber das Beste ist, dass gerade der, der ohne Arme auf die Welt gekommen ist, jetzt sogar Vorträge vor vollen Säälen und Dax-Vorständen hält. Hätte der bestimmt auch nicht gedacht.”

Nein, gedacht hätte das niemand, als Matthias Berg im Oktober 1961 als “Kind ohne Arme” auf die Welt kommt. Aber wie hat dieser Mann seinen Lebensweg zu Erfolg und Anerkennung, zu Freundschaft und Sympathie gemacht? Matthias Berg legte – angeregt durch seine Vortragstätigkeit – nach 3 (?) Jahren Schreib-Arbeit ein Buch vor, das einlädt, seine Lebens-Erkennisse nachzuvollziehen. Sein Buch ist kein Ratgeber, es ist eine Sammlung von Geschichten, die sich zu einer Lebensgeschichte verdichten. Es ist eine Darstellung ganz persönlicher Lebens-Entscheidungen und dabei eine Einladung, die eigenen Lebens-Entscheidungen zu treffen.

Der Autor teilt seine Buch in zwei Abschnitte. Teil 1 schildert seinen ganz persönlichen Lebensweg und in Teil 2 lädt er ein, seine fünf Lebens-Entscheidungen nachzuvollziehen. Der erste Teil ist damit die Lebensgeschichte, die seine Lebensweisheiten im zweiten Teil motivieren. Man kann die Teile auch einzeln lesen, wenn man z.B. direkt auf das Ergebnis kommen möchte.

In Teil 1 stellt Matthias Berg seinen Lebensweg dar, von den nur 2 oder 3 Contergan-Pillen, die seine Mutter in der frühen Schwangerschaft nahm über die wegen seiner Contergan-Behinderungen kritischen ersten Tage nach der Geburt bis zur glücklichen Kindheit in Detmold. Der Autor ist durch Contergan anfangs das “Kinde ohne Arme”, aber das spielt in der intakten Kindergruppe seiner frühen Kindkeit bald keine Rolle mehr. Er macht auch erste, sehr erfolgreiche musikalische Erfahrungen mit dem Horn. Mit knapp 10 Jahren zieht die Familie in die schwäbische Provinz: Trossingen hat zwar ein reiches Musikleben, aber er wird von den anderen Kindern gehänselt und verliert zunächst die Lust an der Musik. Matthias Berg spielt – mit sanftem Zwang seiner Eltern – wieder Horn zu spielen und schafft es damit über diesen Tiefpunkt hinweg zu kommen. Bald kommt der Sport hinzu. In Musik und Sport findet er Bestätigung, Anerkennung, Freunde.

Es gibt einige Schlüsselmomente, so z.B. die Begegnung im Zug nach Freiburg, bei der er lernt: Ob die anderen erst hinschauen und dann ob seiner ‘Behinderung’ peinlich wegschauen, das liegt auch in seinem Einflussbereich: Selber hinschauen und lächeln! Der Autor schildert sehr einfühlsam seinen Weg als Kind und Jugendlicher, so dass man als Leser diesen Weg gut mitgehen kann. Dann kommt die junge Erwachsenen-Zeit und das Studium in Freiburg im Breisgau. Man muss sich den Autor als zwar anders aussehenden, aber sonst ganz normalen jungen Mann vorstellen, dem das Kino und der Baggersee wichtiger sind als Klausuren. Matthias Berg studiert Jura und Musik (Horn), betreibt aber auch ‘nebenher’ Leichtathletik und Wintersport sehr ambitioniert und erfolgreich. Doch da – wieder ein Schlüsselmoment: Er ist gerade auf dem Sprung, ein Konzert in der Nähe von Freiburg zu geben, da klingelt das Telefon: Wo er denn bleibe, er würde zum Konzert in Karlsruhe erwartet!

Situationsbeschreibungen wie diese schildert der Autor so plastisch, dass man fast selbst dabei ist. Matthias Berg merkt – so geht es nicht! Er beginnt, sein Studentenleben in den Griff zu nehmen. Schilderungen wie diese vermitteln, wie der Autor sich seine Lebensweisheit erschwitzt, erlitten, erarbeitet hat. Auch die weiteren Schilderungen seiner Karriere als Jurist sind plastisch: Als Mitarbeiter beim Landratsamt Esslingen bringt er sich als Profi und Mensch voll ein und merk: Es kommt auf die Menschen an. Das wird auch im weiteren seine Berufung und er kommt damit so gut an, dass er zum stellvertretenden Landrat und gefragten Redner wird.

In Teil 2 beschreibt Matthias Berg wesentliche Erkenntnisse aus seinem Lebensweg. Er leitet diese mit grundsätzlichen Überlegungen ein und stellt dann seine fünf Entscheidungen dar.

Grundsätzlich wandelt Matthias Berg die rückwärts gewandte Frage „Warum gerade ich?“ um in ein zukunftsoffenes „Wozu?“. Eindrücklich ist die Geschichte mit seiner Großmutter, die ihrem Enkel bei Problemen mit dem alten schwäbischen Satz „Wer weiss, wozu es gut ist?“ zur Seite steht. Damit macht sich Matthias Berg zum Steuermann seines Lebens, der hier und jetzt die richtigen Befehle und Kurse gibt und dadurch die Zukunftsperspektive öffnet. Auch das Thema „die Balance finden“ spricht der Autor an und verbindet dabei eigene Lebenserfahrungen mit altgriechischer Philosophie und moderner Psychologie. Man gewinnt den Eindruck, dass der Autor sowohl intellektuell, als auch ganz persönlich ein humanistisches Menschenbild entwickelt hat. Die Ausführungen „Sinn und Ziele“ verbinden die eigenen Ziele mit einem ganz persönlichen, tieferen Sinn. Allein in der Einleitung zum zweiten Teil des Buches skizziert Matthias Berg ein breites Panorama aus Erkenntnissen der allgemeinen Psychologie, der Volitionsforschung (Psychologie des Willens / der Handlung), der humanistischen Psychologie und der Philosophie und dort insbesondere der Ethik und verbindet diese mit Lebensweisheit.

Das Kapitel “Ich packe es an“ nimmt Bezug auf die Erkenntnis von Aristoteles, der vor 2.400 Jahren – hochmodern – formuliert: ”Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen“. In diesem Teil nimmt der Autor implizit auf die Volitionsforschung Bezug. Gerade als Sportler und Musiker hat Matthias Berg gelernt, dass erst Wille und Plan zusammen mit Übung und Überwindung zur erfolgreichen Tat führen. Mit vielen Geschichten untermauert er seine Überlegungen und Erkenntnisse über den wichtigen ersten Schritt und wie dem ersten dann viele weitere Schritte folgen können.

Im Kapitel „Ich übernehme Verantwortung“ fügt er dem Anpacken eine langfristige, breitere Perspektive hinzu. Ver-antwort-ung heisst auch, dem Leben eine Antwort zu geben. Der Autor profitiert von der Erfahrung, dass erst langfristiges Training und Üben zum Erfolg führt. Das Plakat in einer Musikschule „Proben hilft – leider“ bringt es auf den Punkt. Als professioneller Sportler und Musiker fasst er seinen Grundsatz zusammen: „Lernerfahrung – ändern – trainieren – gewinnen.“ Diesen Grundsatz wendet der Autor glaubwürdig auf alle Lebensbereiche an und läßt den Leser mit unterhaltsamen Beispielen daran teilhaben.

Die Entscheidung „Ich konzentriere mich auf das Können“ ist mehr, als es zunächst den Anschein hat. Matthias Berg schildert die vielen Aspekte dieser Entscheidung wie positives Denken, Resilienz, Optimismus und Vertrauen, und spickt seine Ausführungen mit Erfahrungen, Geschichten und Sentenzen. Dabei zeigt er Bezüge des positiven Denkens zum „Anpacken“ und zur Verantwortungsübernahme für das eigene Leben auf.

„Ich bin fair und schenke anderen Zeit und Freude“ schlägt einen etwas anderen Ton an. Hier spielen stärker ethische und philosophische Überlegungen eine Rolle. Die Bergpredigt, Kant’s kategorischer Imperativ setz der Autor in Bezug zu Weisheitssprüchen wie „Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr reibt.“ Es ist das besondere Verdienst von Matthias Berg, diese Inhalte nicht nur aneinander zu reihen, sondern sie durch persönliche Erfahrungsberichte in Beziehung zu setzen. Außerdem gibt er Tipps, in Konfliktsituationen das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, z.B. wenn man verbal angegriffen wird statt zurückzukeilen mit „Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden“ nachzufragen und so für sich und den anderen Zeit und Raum für sinnvollere Konfliktlösungen zu schaffen. So entsteht der Eindruck eines sinnvollen Ganzen.

Die letzte Entscheidung in diesem Quintett ist „Ich bin diszipliniert.“ Der Autor führt die Selbstdisziplin als Königsdisziplin auf und argumentiert, warum diese heute vielleicht eher in Vergessenheit geratende Tugend doch besonders wichtig ist. Er ist dabei nie belehrend, sondern entwickelt seine Gedanken, wie z.B. von den Grundlagen eines gesunden Lebens (Essen, Schlafen, Bewegen, Gedankenhygiene sowie Anspannung-Entspannung). Sein „use it or loose it“ ist vom Autor ganz konkret gesprochen, dabei universell anwendbar.

Während der Autor in Teil 1 also seinen Lebensweg beschreibt und in Teil 2 seine Lebens-Entscheidungen, ist doch allen Teilen eine zutiefst optimistische, lebensfreundliche Grundhaltung gemein und alle Teile sind durchweg leicht und gut zu lesen, nicht zuletzt durch die vielen einprägsamen Geschickten und Erlebnisschilderungen.

Der Band verbindet aus meiner Sicht in besonderer Weite dreierlei: Erstens erfahrungsbezogene Lebensweisheit. Zweitens philosophische, psychologische und anderen wissenschaftlich fundierte Überlegungen. Drittens Geschichten, die das Leben schreibt. Diese sinnvoll ineinander gefügt zu lesen ist nicht nur unheimlich lehrreich, sondern außerordentlich genussvoll. Wenn ich die Lehren in einen Satz bringen müsste, würde ich es mit „Geradeheraus sein und dabei den richtigen Ton treffen“ formulieren. Jeder Leser ist eingeladen, aus dem Buch seine Lehren und Anregungen zu ziehen.

Cornelius Duft – Entwicklungsvorstand Compart AG

5 von 5 Sternen.

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